Thermische Dilatationsdifferenz in Klebeverbindungen: Herausforderungen und Lösungsansätze für zuverlässige Fügeverbindungen

Inhaltsverzeichnis

Die zentrale Herausforderung im hybriden Leichtbau

In modernen Konstruktionskonzepten für Automotive, Luftfahrt und Elektronik werden zunehmend hybride Baugruppen aus verschiedenen Leichtbaumaterialien wie Aluminium, Stahl und kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK) durch Klebetechnik gefügt. Diese Fügetechnologie ermöglicht flächige Kraftübertragung und designoptimierte Geometrien, steht jedoch vor einer zentralen technischen Herausforderung: unterschiedlicher thermischer Ausdehnungskoeffizienten zwischen den Fügepartnern und Klebstoffen. Diese sogenannte Delta-Alpha-Problematik (Delta-a-Problematik) kann insbesondere unter zyklischer oder prozessbedingter Temperaturbelastung zu internen Spannungen und kritischen Versagensmechanismen führen (European Aluminium Association 2015; Dietrich 2018).

Materialspezifische thermische Ausdehnungskoeffizienten und ihre Auswirkungen

Jeder Werkstoff besitzt einen charakteristischen thermischen Ausdehnungskoeffizienten (α), der die Längenänderung in Äbhängigkeit von der Temperatur beschreibt. Die Bandbreite dieser Werte variiert erheblich zwischen den in Mischbauverbindungen eingesetzten Materialien: Stahl weist Werte von α ≈ 11,5–13,1 × 10⁻⁶ K⁻¹ auf, während Aluminium mit α ≈ 22–25 × 10⁻⁶ K⁻¹ deutlich höhere Ausdehnungskoeffizienten zeigt. Epoxidharz-Klebstoffe bewegen sich im Bereich von α ≈ 45–200 × 10⁻⁶ K⁻¹, und CFK-Verbundwerkstoffe zeigen stark anisotrope Ausdehnungseigenschaften mit Werten zwischen -1,0 bis 1,5 in Faserorientierung und bis zu 65 × 10⁻⁶ K⁻¹ quer zur

Faser (Dietrich 2018).
Die resultierenden Relativverschiebungen und Spannungen, die bei Temperaturzyklen auftreten – etwa während Fertigungsprozessen oder im Betrieb im Temperaturbereich von -40 °C bis +200 °C – stellen eine erhebliche Belastung für die Klebeverbindung dar. Besonders kritisch sind dabei Bereiche nahe der Glasübergangstemperatur (Tg), in denen Klebstoffe von viskoelastischen zu elastischen beziehungsweise plastischen Eigenschaften wechseln, was die Fügefestigkeit und Lebensdauer markant beeinflussen kann (DFR Solutions o. J.).

Schädigungsmechanismen und deren technische Konsequenzen

Die Schädigung von Klebeverbindungen durch unterschiedliche thermische Ausdehnungskoeffizienten manifestiert sich durch verschiedene Mechanismen. Bei unterschiedlichen α-Werten entstehen Schub- und Zugspannungen, die sowohl zu Grenzflächenversagen als auch zu Cohäsionsbruch im Klebstoff selbst führen können. Klebspaltdicke und Bauteildimension sind dabei maßgebliche Faktoren für die Spannungsverteilung. (European Aluminium Association 2015; NPL 1999).
Besonders bei CFK-Verbindungen ist die Anisotropie der Ausdehnung zu berücksichtigen, sodass auch Laminataufbau und Faserorientierung die Spannungsentwicklung signifikant beeinflussen. Dies ist bei der Konstruktion von Leichtbaustrukturen und Compositen zu berücksichtigen, da die thermische Spannung sowohl durch den Mismatch der Fügepartner als auch durch die Kontraktion des Klebstoffs beim Härten entsteht (Dietrich 2018).

Feuchtigkeit als zusätzlicher Einflussfaktor

Feuchtigkeit wirkt in Kombination mit Temperatur als entscheidender zusätzlicher Einflussfaktor auf die Fügefestigkeit. Sie kann die mechanischen Eigenschaften von Klebstoffen signifikant verändern, die Adhäsion zum Substrat schwächen und alterungsbedingte Schäden wie Delamination, Rissbildung oder Klebschichtverformung beschleunigen. Die Wechselwirkungen mit Temperatur verstärken die Diffusion und den hydrolytischen Abbauprozess im Klebstoff, besonders bei Anwendungen im Außenbereich und bei elektronischen Bauteilen.

Lebensdauerprognose und Prüfmethoden

Die Lebensdauer von Klebeverbindungen unter thermischer Wechsellast lässt sich durch eine Kombination aus beschleunigten Alterungstests, zyklischen Temperaturprüfungen und modernen Prognosemodellen zuverlässig abschätzen. Zeitraffertests simulieren Langzeitbelastungen unter realitätsnahen Temperaturzyklen, um das Versagensverhalten und die Entwicklung von Rissen im Klebstoff nachzustellen. Moderne kurzzyklische Prognoseverfahren wie die Stepped Isothermal Method (SIM) oder Stepped IsoStress Method (SSM) erlauben die schnelle Ermittlung von Kriechverhalten und Relaxationseffekten im Zusammenhang mit dem thermischen Mismatch verschiedener                            Fügematerialien (NPL 1999).
Fatigue- und Thermoschock-Prüfungen erfassen Bruchschwingspielzahlen sowie das Auftreten von Schädigungsmechanismen, die für die Lebensdauerbewertung entscheidend sind. Experimentelle Ergebnisse werden zunehmend mit numerischen Simulationen und etablierten Prüfmethoden wie Klimawechseltests verknüpft, um praxistaugliche Lebensdauerprognosen zu ermöglichen.

Optimierte Materialkombinationen und Klebstoffsysteme

Kombinationen aus Klebstoff- und Substratmaterialien, die ähnliche thermische Ausdehnungskoeffizienten besitzen, minimieren das Risiko thermisch induzierter Riss-, Delaminations- oder Spannungsbildung besonders effektiv. Epoxidharzklebstoffe in Verbindung mit metallischen Substraten wie Aluminium oder Stahl sind besonders empfehlenswert, wenn die Klebstoffrezeptur gezielt mit Füllstoffen oder Flexibilisatoren modifiziert wird, um den Ausdehnungskoeffizienten dem des Metalls anzupassen (European Aluminium Association 2015; Dietrich 2018).
Silikonklebstoffe und Polyurethan-Systeme bieten aufgrund ihres geringen Elastizitätsmoduls bzw. ihrer hohen Elastizität vorteilhafte Eigenschaften bei stark unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten und reduzieren thermische Rissbildung und Ermüdung.

Praktische Lösungsansätze und Design-Empfehlungen

Für die erfolgreiche Implementierung zuverlässiger Klebeverbindungen im hybriden Leichtbau sind mehrere Stellschrauben entscheidend. Die Optimierung des Klebstoffsystems durch geeignete Klebstoffe und Flexibilisierung hilft, Spannungen zu reduzieren. Die Wahl der CFK-Laminatstruktur und die Optimierung von Überlappungslänge, Klebspaltdicke und Fügegeometrie sind entscheidende Stellschrauben. Die Prozessführung und das Temperaturmanagement sollten so gewählt werden, dass kritische Bereiche der Glasübergangstemperatur vermieden werden (DFR Solutions o. J.; NPL 1999).

Implikationen für die Praxis

Für Entwicklungsingenieure in Automotive und Aerospace, Materialwissenschaftler und Qualitätsteams ergeben sich konkrete praxisnahe Implikationen. Die Analyse und Simulation der Delta-Alpha-Problematik ist unerlässlich für die Auslegung zuverlässiger, langlebiger Klebeverbindungen im hybriden Leichtbau. Prüfmethoden wie Dilatometrie, Thermomechanische Analyse (TMA) und DSC sind zentrale Tools für das Benchmarking und die Prozessoptimierung. Die Validierung der thermischen Zyklen ist integraler Bestandteil jeder Qualitäts- und Validierungsstrategie (European Aluminium Association 2015; DFR Solutions o. J.).

Fazit

Die unterschiedlich ausgeprägte thermische Ausdehnung von Klebstoffen und Fügeteilen ist ein kritischer Faktor für die mechanische Integrität moderner Mischbau-Klebverbindungen. Durch die gezielte Modifizierung der Klebstoffeigenschaften, die Optimierung von Bauteil- und Fügegeometrie sowie den Einsatz etablierter Prüfverfahren können Entwicklungsingenieure die mechanische Performance gezielt beeinflussen und Versagensrisiken minimieren (Dietrich 2018; NPL 1999; DFR Solutions o. J.).

Quellenverzeichnis

Dietrich, R. (2018). Analyse der Wärmeausdehnungs-Inkompatibilität von FKV-Metall-Hybridstrukturen. Technische Universität München. Verfügbar unter: https://mediatum.ub.tum.de/1393107

European Aluminium Association (2015). Joining Dissimilar Materials. Verfügbar unter:
https://european-aluminium.eu/wp-content/uploads/2022/11/11-joining-dissimilar-materials_2015.pdf

NPL (1999). Cyclic Fatigue Testing of Adhesive Joints. Verfügbar unter: https://www.researchgate.net/publication/237635154

DFR Solutions (o. J.). Temperature Cycling and Fatigue in Electronics. Verfügbar unter:
https://www.ekwb.com/wp-content/uploads/2020/05/1-Temperature-Cycling-and-Fatigue-in-Electronics-White-Paper-1.pdf

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