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Die pharmazeutische Industrie steht vor der kontinuierlichen Herausforderung, die Stabilität und das thermische Verhalten von Wirkstoffen präzise zu bewerten. Besonders bei API (pharmazeutisch aktiven Substanzen) in Festkörperform oder kristalliner Form, hat sich die thermische Analyse als unverzichtbares Werkzeug etabliert, da sie Thermogravimetrie (TG) und dynamische Differenzkalorimetrie (DSC) in einem einzigen Analyseschritt kombiniert. Diese Methodenkombination ermöglicht es, Masseänderungen und kalorische Effekte simultan an derselben Probe zu erfassen, wodurch eine direkte Korrelation der Ergebnisse ohne die Unsicherheiten getrennter Messungen möglich wird. Besonders bei beschränkter Probenmenge, wie sie vor allem in der Forschung und Entwicklung von hochwertigen pharmazeutischen Wirkstoffen häufig auftritt, ermöglicht die STA eine nahezu vollständige Charakterisierung komplexer pharmazeutischer Systeme. Da beide Analysen unter exakt gleichen Bedingungen durchgeführt werden – gleiche Atmosphäre, Temperaturführung und Heizrate – liefert die STA hochreproduzierbare und verlässliche Daten für die Qualitätskontrolle und Entwicklung.
Identifikation kritischer Übergangspunkte
Die Simultane Thermische Analyse (STA) ist ein zentrales Verfahren zur Identifikation kritischer thermischer Übergangspunkte, die für die pharmazeutische Entwicklung und Qualitätskontrolle von großer Bedeutung sind.
Diese Übergangspunkte bestimmen maßgeblich die Verarbeitungsbedingungen und die Lagerstabilität pharmazeutisch aktiver Substanzen (API).
Wesentliche Übergangspunkte:
- Schmelzpunkt: Entscheidend für die Verarbeitung und Lagerung von Wirkstoffen.
- Glasübergangstemperatur (Tg): Beschreibt den Temperaturbereich, in dem amorphe oder teilkristalline Substanzen erweichen. Sie kennzeichnet die Grenze, ab der das stabile, feste Erscheinungsbild verloren geht und somit die Lagersicherheit beeinträchtigt werden kann.
- Zersetzungstemperatur: Präzise Bestimmung der Onset-Temperatur, um stabile Prozess- und Lagertemperaturen festzulegen.
- Phasenübergänge: Charakterisierung polymorpher Kristallformen anhand spezifischer Schmelz- oder Umwandlungstemperaturen.
Die DSC-Komponente der STA erkennt diese Übergänge als charakteristische endotherme oder exotherme Peaks, während die TG-Kurve korrespondierende Masseverluste dokumentiert. Eine Erniedrigung der Glasübergangstemperatur, beispielsweise durch Feuchtigkeitsaufnahme, kann zu ungewollten Phasenumwandlungen oder Rekristallisation führen. Dies kann wiederum die Kristallstruktur verändern – mit möglichen Folgen wie Wirksamkeitsverlust, veränderter Bioverfügbarkeit oder im einfachsten Fall der Notwendigkeit einer erneuten Einstufung und Kennzeichnung des Präparats.
Bewertung der Feuchtesensitivität
Viele pharmazeutische Wirkstoffe zeigen ein ausgeprägtes hygroskopisches Verhalten, wobei bereits geringe Änderungen der relativen Luftfeuchte die Wasseraufnahme und damit die Stabilität signifikant beeinflussen können. Die STA ermöglicht eine quantitative Bestimmung des Feuchteverlustes durch Verdunstung oder Kristallwasserabgabe (1).
Die Analyse der Feuchtesensitivität umfasst mehrere kritische Parameter, die für die Stabilitätsbewertung essenziell sind. Die Adsorption und Desorption von Wasser wird im TG-Signal als diskrete Masseänderungen sichtbar, während begleitende Wärme- oder Temperaturwechsel Rückschlüsse auf die Bindungsform des Wassers ermöglichen.
Wichtige Bewertungsparameter:
- Wasseraufnahmekapazität: Verhältnis der aufgenommenen Wassermenge zur Probenmasse
- Gleichgewichtsfeuchte: Zustand des Feuchtigkeitsgleichgewichts bei definierten Bedingungen
- Sorption-Desorption-Isothermen: Zusammenhang zwischen Feuchtigkeitsmenge und relativer Luftfeuchte
- Kristallwassergehalt: Anteil des strukturell gebundenen Wassers
- Kinetik der Feuchtigkeitsaufnahme: Geschwindigkeit der Wasseraufnahme/-abgabe Die Aufnahme von Feuchtigkeit führt bei amorphen API-Kristallen zu einer Erniedrigung der Glasübergangstemperatur, wodurch bei Lagerung oder Transport ein Bereich mit erhöhter Rekristallisationsneigung erreicht werden kann (2).

Thermische Zersetzung und Lagerstabilität
Die thermische Zersetzung hat einen entscheidenden Einfluss auf die Lagerstabilität pharmazeutischer Wirkstoffe, da sie die chemische Integrität und damit die Wirksamkeit direkt beeinträchtigen kann. Die Simultane Thermische Analyse (STA) ermöglicht die frühzeitige Identifikation solcher Prozesse durch die gleichzeitige Erfassung von Masseänderungen sowie endothermen und exothermen Effekten.
Neben der klassischen thermischen Zersetzung können auch Oxidationsreaktionen eine zentrale Rolle spielen. Diese führen häufig zu einer Massenzunahme, da Sauerstoff in die Molekülstruktur eingebaut wird. Bereits eine partielle Oxidation kann die chemische Struktur verändern und damit die pharmakologische Wirkung beeinträchtigen – oft lange bevor eine eigentliche Zersetzung eintritt.
Ein weiterer kritischer Faktor ist die Denaturierung: Durch thermische oder oxidative Einflüsse verlieren insbesondere biotechnologisch hergestellte oder proteinbasierte Wirkstoffe ihre native Struktur. Dies kann zu Aktivitätsverlust, Aggregatbildung oder veränderter Freisetzung führen und somit die Stabilität des Präparats massiv beeinflussen.
Die präzise Bestimmung der Onset-Temperatur der Zersetzung oder Denaturierung ist für Forschung und Qualitätskontrolle essenziell, da sie die obere Grenze für Lagerung, Transport und Verarbeitung definiert. Bereits kurzzeitige Überschreitungen können irreversible strukturelle Veränderungen verursachen. Mithilfe der STA und entsprechender kinetischer Modellierung lässt sich zudem die Haltbarkeit eines Arzneistoffs unter definierten Lagerbedingungen zuverlässig prognostizieren.
Einflüsse auf die Lagerstabilität:
- Abbau und Wirksamkeitsverlust: Verringerung der Wirkstoffkonzentration durch chemische Zersetzung oder Denaturierung
- Oxidation: Massenzunahme und Strukturveränderung durch Sauerstoffeinlagerung
- Bildung von Abbauprodukten: Entstehung chemisch oder toxikologisch relevanter Nebenprodukte
- Interaktion mit Feuchtigkeit: Reduzierte thermische Stabilität und mögliche Hydrolyseprozesse bei erhöhter Luftfeuchtigkeit
- Langzeitprognose: Vorhersage der Haltbarkeit unter definierten Bedingungen durch thermokinetische Modellierung
Fazit
Die Simultane Thermische Analyse stellt für Labore, Forscher und Ingenieure der pharmazeutischen Industrie ein hochempfindliches, reproduzierbares und zeiteffizientes Werkzeug zur Verfügung. Sie ermöglicht die tiefgreifende und sichere Bewertung von Feuchtesensitivität, thermischen Übergängen und Zersetzungsprozessen von API-Kristallen. Gerade unter GMP-Bedingungen und im Rahmen der Qualitätssicherung ermöglicht die STA die Entwicklung und Lagerung von Arzneistoffen auf dem höchsten wissenschaftlichen Stand. Die Methode liefert präzise Identifikation kritischer Übergangspunkte, verlässliche Beurteilung der Feuchtesensitivität und vollständige Charakterisierung des thermischen und chemisch-strukturellen Zersetzungsverhaltens. Dadurch erhöht sich sowohl die Sicherheit der Wirkstoffanalyse als auch die Effizienz in Entwicklung, Qualitätskontrolle und Stabilitätsprüfung signifikant.
Quellenverzeichnis
(1) DocCheck Flexikon: Stabilität pharmazeutischer Kristalle.
https://flexikon.doccheck.com/de/Stabilit%C3%A4tspr%C3%BCfung_(Pharmazie)
(2) Deutsche Apotheker Zeitung: Zersetzungs-Reaktionen beherrschen.
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-52-2015/zersetzungs-reaktionen-beherrschen