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Thermogravimetrische Analyse (TGA) von Gelatinekapseln: Grundlagen und Bedeutung
Die thermogravimetrische Analyse (TGA) ist eine zentrale Methode in der pharmazeutischen und medizinischen Analytik, um das Feuchteverhalten und die Stabilität von Materialien wie Gelatinekapseln unter realen Lagerungsbedingungen quantitativ zu überwachen. Besonders bei hygroskopischen Materialien wie Gelatine ist das Wissen um den Feuchtegehalt entscheidend, da dieser die Kapselfestigkeit, Freisetzungseigenschaften und insgesamt die Stabilität während Lagerung und Transport maßgeblich beeinflusst (1). Die TGA misst kontinuierlich die Massenänderung einer Probe bei kontrolliertem Temperaturanstieg und ermöglicht so eine präzise Charakterisierung der thermischen Eigenschaften pharmazeutischer Materialien. Für Gelatinekapseln kann exakt bestimmt werden, wie viel Wasser in unterschiedlichen Bindungsarten enthalten ist und wie sich diese Feuchte beim Erwärmen oder während Langzeitlagerung verflüchtigt. Die Methode liefert nicht nur den reinen Feuchtegehalt, sondern auch detaillierte Informationen zur Interaktion zwischen Wasser und Kapselmatrix sowie zur Mechanik relevanter Übergänge wie Glasübergang und Schmelzpunkt (2).
Zentrale Aspekte der TGA-Anwendung:
- Kontinuierliche Massenüberwachung bei kontrolliertem Temperaturanstieg
- Differenzierung zwischen freier und gebundener Feuchte in der Gelatinematrix
- Quantifizierung von Wasserverdampfungsprozessen im Bereich 40-150°C
- Erfassung thermischer Übergänge und Strukturveränderungen
- Korrelation zwischen Massenverlust und Feuchteverlust der Proben
- Validierung der Lagerstabilität unter verschiedenen Umgebungsbedingungen
Ein als Sorptions-Desorptions-Feuchtetransfer bekanntes Modell beschreibt den Transfer von Wasser zwischen Kapselwand und Kapselfüllung während der Lagerung. Die Anwendung dieses Modells in Verbindung mit TG-Analysedaten ermöglicht die Vorhersage des Gleichgewichtsfeuchtegehalts im System und hilft, Lagerbedingungen so zu wählen, dass Brittleness oder Verkleben der Kapseln vermieden werden (3).

Restfeuchte als kritischer Stabilitätsfaktor über längere Lagerzeiten
Gelatinekapseln zeichnen sich durch eine typische Anfangsrestfeuchte von etwa 13% aus – ein Wert, der nach der Herstellung relativ stabil ist, aber externen Einflüssen wie Temperatur und Luftfeuchte beträchtlichen Schwankungen unterliegt. Die optimale Restfeuchte für Gelatinekapseln liegt idealerweise zwischen 12-16%, was ihnen die notwendige Flexibilität und Elastizität verleiht und als natürlicher Weichmacher der Gelatinematrix fungiert (4). Während einer dreimonatigen Lagerung lässt sich mit TGA quantitativ verfolgen, wie die Restfeuchte unter verschiedenen Umgebungsbedingungen verloren geht oder aufgenommen wird. Publizierte Studien zeigen, dass bereits nach 24 Stunden unter erhöhter Luftfeuchte die Restfeuchte der Gelatinekapsel signifikant ansteigt und die Materialeigenschaften beeinflusst werden. Über längere Lagerzeiten ist der Feuchteausgleich mit der Umgebung tendenziell abgeschlossen, sodass die Kapseln entweder an Feuchte zunehmen oder bei trockenen Bedingungen sukzessive an Feuchte verlieren (5).
Kritische Feuchtebereiche und ihre Auswirkungen:
- Zu niedrige Restfeuchte (<8-10%): Verlust der Flexibilität, Versprödung, erhöhtes Bruchrisiko beim Handling
- Optimale Restfeuchte (12-16%): Ausgewogene mechanische Eigenschaften, stabile Freisetzungseigenschaften
- Zu hohe Restfeuchte (>16%): Erhöhte Plastizität, Verkleben, Verformung der Kapselgeometrie
- Extreme Feuchte (>65% rF): Verformung, Schimmelbildung, mikrobielles Wachstum, Funktionsverlust
- Langzeiteffekte: Feuchteausgleich mit Umgebung führt zu dauerhaften Eigenschaftsänderungen
TGA-basierte Bewertung der Feuchteänderungen:
- Quantitative Bestimmung der Feuchteverluste durch präzise Massenmessung im Temperaturbereich 40-150°C
- Lückenlose Verfolgung der Feuchteveränderung über längere Lagerzeiträume von 3 Monaten und mehr
- Erfassung kritischer Feuchtebereiche zur frühzeitigen Vermeidung von Stabilitätsproblemen
- Korrelation zwischen Umgebungsbedingungen und resultierenden Materialveränderungen
- Objektive, wissenschaftlich fundierte Basis für Qualitätsmanagement und regulatorische Compliance
Die Fähigkeit von Gelatinekapseln, Wasser aufzunehmen oder abzugeben, resultiert aus der molekularen Struktur der Gelatine selbst. Die Polymermatrix kann durch den Feuchtegehalt plastifiziert oder spröde werden, wobei mit abnehmender Restfeuchte die Flexibilität sinkt und die Kapsel brüchig werden kann.
Thermische Eigenschaften und Langzeitstabilität pharmazeutischer Gelatinekapseln
Die entscheidenden thermischen Eigenschaften für die Langzeitstabilität von Gelatinekapseln umfassen die Glasübergangstemperatur, den Schmelzpunkt, das Verhalten bei Feuchteschwankungen, die thermische Zersetzung sowie die spezifische Wärmekapazität. Diese Parameter bestimmen fundamental darüber, wie die Kapsel ihre mechanische Integrität, Flexibilität und Schutzfunktion über den gesamten Lagerzeitraum und während des Transports behält (6). Die Glasübergangstemperatur beschreibt den kritischen Temperaturbereich, in dem Gelatine von einem glasartigen, spröden Zustand in einen flexiblen, gummielastischen Zustand übergeht. Fällt die Lagerfeuchte oder Temperatur unter einen kritischen Wert, wird die Kapsel spröde und bruchanfällig. Bei zu hoher Feuchte oder Überschreitung der Glasübergangstemperatur neigt sie zu Verformung, Kleben oder unkontrollierter Freisetzung des Kapselinhalts. Der Schmelzpunkt markiert den Übergang von fest zu flüssig, wobei bereits Temperaturen über 30°C bei dauerhafter Exposition problematisch werden können.
Zentrale thermische Parameter und deren Bedeutung:
- Glasübergangstemperatur (Tg): Kritischer Übergang von sprödem zu flexiblem Materialverhalten
- Schmelzpunkt (Tm): Temperaturgrenze für Formstabilität (>30°C dauerhaft problematisch)
- Thermische Zersetzungstemperatur: Struktureller Abbau der Gelatinematrix oberhalb 150°C
- Spezifische Wärmekapazität: Maß für thermische Reaktionsfähigkeit und Energiebedarf
- Kristallisationsverhalten: Strukturelle Veränderungen bei Temperaturschwankungen
- Phasenübergänge: Reversible und irreversible Zustandsänderungen der Kapselmatrix
Auswirkungen thermischer Eigenschaften auf die Produktstabilität:
- Mechanische Integrität: Erhaltung der Kapselform und -festigkeit über die Lagerzeit
- Freisetzungseigenschaften: Kontrolle der Wirkstofffreigabe im physiologischen Umfeld
- Chemische Stabilität: Schutz vor thermisch induzierter Degradation der Kapselmatrix
- Löslichkeitsverhalten: Beeinflussung der Auflösungskinetik im Magen-Darm-Trakt
- Cross-Linking-Resistenz: Vermeidung irreversibler Vernetzungsreaktionen
Oberhalb bestimmter Temperaturen setzt die thermische Zersetzung der Gelatine ein, wobei diese Schwelle in der praktischen Lagerung weniger relevant ist, jedoch bei Prozessschritten oder analytischen Methoden berücksichtigt werden muss. Die Reinheit und thermische Stabilität der eingesetzten Gelatine ist maßgeblich, da Oxidation durch Licht und Hitze die mechanische Festigkeit und Integrität vermindern kann.
Einfluss von Umweltfaktoren auf die chemische Stabilität und Materialintegrität
Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind die beiden zentralen Umweltfaktoren, die die chemische Stabilität von Gelatinekapseln erheblich und oft synergistisch beeinflussen. Höhere Temperaturen verstärken die Beweglichkeit der Gelatine-Molekülketten und schwächen damit die intermolekularen Bindungen innerhalb der Kapselmatrix. Dadurch können Wasser und andere kleine Moleküle leichter in die Gelatinestruktur eindringen, was die Anfälligkeit für chemische Abbauprozesse wie Hydrolyse, Oxidation und unerwünschtes Cross-Linking erheblich steigert (7).
Mit steigender Temperatur beschleunigen sich chemische Reaktionen exponentiell, wobei bereits ab 35-40°C die mechanische und chemische Stabilität deutlich vermindert wird. Im Extremfall kann die Gelatinematrix kollabieren, was zu Verkleben, irreversibler Verformung oder partieller Schmelze der Kapsel führt und damit die Dosiersicherheit und den Wirkstoffschutz kompromittiert. Hohe Lagertemperaturen führen zusätzlich zu Schwankungen der Restfeuchte in der Gelatinekapsel und zu einer Abnahme der Glasübergangstemperatur, was die Kapsel weicher und chemisch angreifbarer macht.
Temperaturbedingte Stabilitätsrisiken:
- Beschleunigung chemischer Reaktionen (Hydrolyse, Oxidation, Cross-Linking) ab 35°C
- Erhöhung der Molekularbeweglichkeit und Schwächung intermolekularer Bindungen
- Beeinflussung der Restfeuchte und Absenkung der Glasübergangstemperatur
- Risiko von Matrixkollaps, Verformung und Schmelzprozessen
- Kompromittierung der Dosiersicherheit und des Wirkstoffschutzes
- Irreversible Strukturveränderungen bei längerer Exposition
Luftfeuchtigkeitsbedingte Degradationsmechanismen:
- Hygroskopisches Verhalten führt zu unkontrollierter Wasseraufnahme bei >60% rF
- Senkung der Glasübergangstemperatur durch erhöhten Wassergehalt
- Förderung chemischer Abbauprozesse durch überschüssige Feuchtigkeit in der Matrix
- Erleichterung von Hydrolyse und mikrobieller Zersetzung der Gelatinestruktur
- Risiko von Leckagen durch weichere, durchlässigere und instabilere Kapselwände
- Cross-Linking-Prozesse bei extremer Feuchte beeinträchtigen Löslichkeit und Freisetzung
Gelatine ist stark hygroskopisch und nimmt bei hoher Luftfeuchtigkeit Feuchtigkeit aus der Umgebung auf, was zu einer deutlichen Erhöhung des Wassergehalts der Kapsel führt. Dies resultiert in einer Senkung der Glasübergangstemperatur und macht die Gelatinematrix flexibler, aber gleichzeitig chemisch deutlich instabiler. Überschüssige Feuchtigkeit erleichtert sowohl die Hydrolyse als auch die mikrobielle Zersetzung der Gelatine und kann schädliche Cross-Linking-Prozesse initiieren.
Synergistische Effekte und optimale Lagerbedingungen:
- Synergistische Wirkung von Temperatur und Feuchte verstärkt Degradation exponentiell
- Optimale Lagerung bei 15-25°C und 30-60% relativer Luftfeuchte
- Vermeidung tropischer Bedingungen zur Erhaltung der Produktqualität
- Notwendigkeit strikten Umweltmonitorings in pharmazeutischer Logistik
- Bedeutung kontrollierter Lagerbedingungen für regulatorische Compliance
Die optimalen Lagerbedingungen für pharmazeutische Gelatinekapseln liegen bei 15-25°C und einer relativen Luftfeuchte von 30-60%, um sowohl chemische als auch mechanische Stabilität über lange Zeiträume zu garantieren. Abweichungen von diesen Parametern, insbesondere tropische Bedingungen mit hoher Temperatur und Feuchtigkeit, führen zu einer signifikanten und oft irreversiblen Einschränkung der Produktqualität.
Praktische Anwendung, industrielle Relevanz und Qualitätsmanagement
Die TGA bietet der pharmazeutischen Industrie eine präzise und wissenschaftlich fundierte Möglichkeit, kritische praxisrelevante Fragestellungen zu beantworten: Wie viel Restfeuchte verbleibt nach mehrmonatiger Lagerung unter spezifischen Klimabedingungen? Wie stabil ist die Kapselstruktur unter realen Transport- und Lagerbedingungen während der gesamten Lieferkette? Wie lassen sich Lagerungs- sowie Herstellungsprozesse optimieren, um eine gleichbleibende Qualität zu gewährleisten? Für Forschungsabteilungen, Labore und Entwicklungsteams in der pharmazeutischen Industrie ist die Integration der TGA zur Feuchtemessung und Materialcharakterisierung mittlerweile state-of-the-art und ein kritischer Baustein im umfassenden Qualitätsmanagement (8).
TGA-Daten bilden eine wissenschaftlich robuste Basis für die Einschätzung der Produktsicherheit von Gelatinekapseln über längere Zeiträume und ermöglichen die Vorhersage des Materialverhaltens unter verschiedenen Umgebungsbedingungen. Wird der Feuchtegehalt der Kapsel durch ungünstige Lagerung reduziert, ist darauf zu achten, dass der Wassergehalt nicht unter kritische Werte sinkt, um Sprödheit und Zerbrechlichkeit zu vermeiden. Bleibt die Kapsel hingegen zu feucht, kommt es zu einem Absinken der Glasübergangstemperatur, verstärkter Plastizität und möglicherweise unkontrollierter Freisetzung des Kapselinhalts.
Umfassende Praxisempfehlungen für die Industrie:
- Konstante Lagerung bei 15-25°C und 35-65% relativer Feuchte in kontrollierten Umgebungen
- Verwendung hochwertiger feuchtigkeits- und lichtdichter Verpackungsmaterialien wie Aluminiumverbundfolien
- Implementierung regelmäßiger Sichtkontrollen auf Verfärbungen, Verformungen oder Schimmelbildung
- Durchführung stichprobenartiger TGA-Analysen zur kontinuierlichen Qualitätsüberwachung
- Umfassende Validierung der Stabilität über die gesamte deklarierte Haltbarkeitsdauer
- Systematischer Schutz vor Lichtexposition zur Vermeidung photochemischen Abbaus
- Integration in Qualitätsmanagementsysteme und regulatorische Compliance-Programme
Strategische industrielle Vorteile und Anwendungen:
- Objektive, wissenschaftlich nachvollziehbare Basis für umfassende Stabilitätsbewertungen
- Datengetriebene Optimierung von Lager-, Transport- und Herstellungsprozessen
- Proaktive Einhaltung regulatorischer Anforderungen und internationaler Produktspezifikationen
- Entwicklung und Validierung verbesserter Verpackungssysteme und Schutzkonzepte
- Kontinuierliche Qualitätssicherung entlang der gesamten pharmazeutischen Lieferkette
- Risikominimierung durch präventive Stabilitätsanalyse und Materialcharakterisierung
- Kostenoptimierung durch vermeidung von Produktverlusten und Reklamationen
Ein weiteres kritisches Risiko bei veränderten Feuchtewerten betrifft die Integrität der Kapselfüllung, insbesondere wenn diese hygroskopisch ist. Ein ausgeglichener Feuchtehaushalt sorgt für die notwendige Flexibilität und Stabilität, was auch regulatorisch von höchster Relevanz ist, um die Einhaltung von Spezifikationen während des gesamten Produktlebenszyklus sicherzustellen und internationale Qualitätsstandards zu erfüllen.
Fazit
Die thermogravimetrische Analyse erweist sich als unverzichtbares analytisches Werkzeug, um Feuchteverluste sowie die daraus resultierende Veränderung der mechanischen und thermischen Stabilität von Gelatinekapseln in der pharmazeutischen Industrie wissenschaftlich zu erfassen, zu quantifizieren und umfassend zu dokumentieren. Diese detaillierten Erkenntnisse fließen direkt in die systematische Optimierung von Lager- und Produktionsbedingungen sowie in die evidenzbasierte Entwicklung sicherer und zuverlässiger pharmazeutischer Darreichungsformen ein.
Die TGA macht den komplexen Feuchteverlauf in pharmazeutischen Gelatinekapseln innerhalb typischer und kritischer Lagerzeiten nicht nur präzise messbar und nachvollziehbar, sondern liefert gleichzeitig eine objektive, wissenschaftlich fundierte und regulatorisch akzeptierte Basis für umfassende Stabilitätsbewertungen, zielgerichtete Materialoptimierung und zuverlässige Compliance in der modernen Arzneimittelherstellung. Für die pharmazeutische Industrie stellt die Integration der TGA in Qualitätsmanagementsysteme einen kritischen Erfolgsfaktor für Produktsicherheit, regulatorische Compliance und wirtschaftliche Effizienz dar.
Quellenverzeichnis
(1) Investigating the effect of novel capsule materials on the stability of soft capsules, AIP Advances, 2025. https://pubs.aip.org/aip/adv/article/15/4/045209/3342879/Investigating-the-effect-of-novel-capsule
(2) Comparative Evaluation of Gelatin and HPMC Inhalation Capsule Shells Exposed to High Humidity, PMC12299881, 2025. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC12299881/
(3) Chang RK et al., A Study on Gelatin Capsule Brittleness: Moisture Transfer Between the Capsule Shell and its Content, J Pharm Sci, 1998. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9572904/
(4) Ensuring Quality and Shelf Life: Optimal Storage. http://de.gdlcapsule.com/info/ensuring-quality-and-shelf-life-optimal-stora-17198404475266048.html
(5) What is the Shelf Life of Medicine Gelatin Capsules. https://de.gaohuacapsule.com/blog/what-is-the-shelf-life-of-medicine-gelatin-capsules-134787.html
(6) Differential Scanning Calorimetry (DSC) Analysis. https://torontech.com/de/differential-scanning-calorimetry-dsc-analysis/
(8) Formulierung mit Weichgelatinekapseln. https://www.saintyco.com/de/formulierung-mit-weichgelatinekapseln/