Einfluss von Sinteratmosphären auf Grünkörper – Analyse durch Simultane Thermische Analyse

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Einleitung

Im Bereich der technischen Keramik spielt die gezielte Beeinflussung von Materialeigenschaften durch kontrollierte Sinteratmosphären eine zentrale Rolle. Der „Grünkörper“ – der ungesinterte, nach der Formgebung getrocknete Rohling – steht dabei im Fokus, da er besonders sensitiv auf Temperatur, Atmosphärenzusammensetzung und Sinterparameter reagiert. Für Forschung, Entwicklung sowie Prozessoptimierung hat sich die Methode der Simultanen Thermischen Analyse (STA) als besonders effektives Werkzeug etabliert, um diese Reaktionen quantitativ zu charakterisieren und zu interpretieren [1][2][3]. 

Grünkörper und Sinteratmosphäre

Der Grünkörper besteht aus verdichtetem, aber noch nicht gesintertem keramischen Pulver. Seine spätere Dichte, Mikrostruktur und mechanische Qualität werden entscheidend durch die Bedingungen der Sinterung beeinflusst. Die Sinteratmosphäre (z.B. oxidierend, reduzierend, inert, definiert feucht oder trocken) steuert insbesondere: 

  • Zersetzung von Bindemitteln und Additiven 
  • Redoxreaktionen sensibler Komponenten 
  • Porenbildung und -schließung 
  • Kornwachstum und Entwicklung sekundärer Phasen [4][5] 

Simultane Thermische Analyse: Methodik und Vorteile

Grundprinzip der STA

Die STA kombiniert Thermogravimetrie (TGA) und Differenzkalorimetrie (DSC) in einem Messdurchgang unter exakt identischen Bedingungen [1][2][3]. Die Thermogravimetrie (TG) misst Masseverluste oder -gewinne (z.B. durch Verdampfung, Zersetzung oder Oxidation), während die Differenzkalorimetrie (DSC) den zugehörigen Wärmefluss (endo– oder exotherme Effekte) erfasst. Diese simultane Aufnahme beider Datenströme erlaubt es, jedem Masseverlust eindeutig einen energetischen Prozess zuzuordnen – und umgekehrt. 

Zentrale Vorteile der simultanen Messung

Die gleichzeitige Erfassung von Masse- und Wärmeänderungen bietet mehrere entscheidende Vorteile: 

Direkte Korrelation thermischer Prozesse: Die simultane Aufnahme ermöglicht die gleichzeitige Erfassung von Masseverlusten (z.B. durch Ausgasen von Feuchtigkeit, Abbau organischer Additive oder Zersetzungsvorgänge) und die Messung von endo- oder exothermen Effekten (z.B. Phasenumwandlungen, chemische Reaktionen, Schmelz- und Kristallisationsvorgänge) [1][2][3]. 

Vermeidung von Artefakten: Werden TG und DSC an getrennten Proben oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt, können selbst kleinste Unterschiede in Probeneigenschaft, Atmosphärenführung oder Temperaturprogramm zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Die Simultanmessung garantiert identische Bedingungen für beide Signale und somit exakte Reproduzierbarkeit. 

Atmosphärenkontrolle: Die Differenzierung atmosphärenspezifischer Reaktionsverläufe durch gezielte Atmosphärenkontrolle (N₂, O₂, Ar, H₂, CO₂-Mischungen) wird ermöglicht. Verschiedene Gasmischungen, Feuchtigkeits- und Druckregelungen sind möglich [1][2][3]. 

Einfluss verschiedener Sinteratmosphären

Die Wahl der Sinteratmosphäre (oxidierend, inert, reduzierend) beeinflusst maßgeblich die chemischen Reaktionen im Grünkörper, die Art und den Zeitpunkt der Zersetzung sowie die Freisetzung, Reaktion oder Bindung von Gasen. 

Auswirkungen auf die Masseänderung (TGA-Signal)

Oxidierende Atmosphäre (z.B. Luft, O₂): Unter oxidierenden Bedingungen zeigt sich ein deutlicher, meist stufenartiger Masseverlust durch die komplette Verbrennung organischer Bindemittel und Additive. Gleichzeitig erfolgt die Freisetzung kristallwasserhaltiger Anteile durch Dehydratationsprozesse. In manchen Fällen kann sogar eine Massezunahme durch Oxidation von Oberflächen oder Nebenelementen wie Metallpartikeln beobachtet werden. 

Inerte Atmosphäre (z.B. N₂, Ar): 

  • Organische Bestandteile werden thermisch zersetzt, häufig bleibt mehr Rückstand (Pyrolysekoks) im Grünkörper 
  • Langsamerer Masseverlust, eventuell Auftreten mehrerer überlagerter Zersetzungsstufen 

 

Reduzierende Atmosphäre (z.B. H₂, CO): Bei reduzierenden Atmosphären findet eine selektive Reduktion von Oxiden statt, wobei bei Metallen oder Mischsystemen eine deutliche Masseabnahme durch Sauerstoffaustritt erfolgen kann. Der eventuell vorhandene Pyrolysekoks kann bei Anwesenheit von Wasserstoff abgebaut werden und führt zur Gasbildung, während er unter anderen reduzierenden Bedingungen im Material verbleibt. 

Auswirkungen auf die Wärmeänderung (DSC-Signal)

Oxidierende Atmosphäre: Unter oxidierenden Bedingungen treten charakteristische exotherme Peaks durch die Verbrennung organischer Bindemittel auf. Parallel dazu können endotherme Effekte durch das Schmelzen von Additiven oder die Freisetzung von Kristallwasser beobachtet werden. Zusätzlich sind weitere exotherme Reaktionen möglich, beispielsweise durch Oxidationen von Metallpartikeln oder spezifische Phasentransformationen im keramischen Material. 

Inerte Atmosphäre: 

  • Überwiegend endotherme Effekte durch thermische Zersetzung (Pyrolyse) der organischen Komponenten 
  • Reduzierung exothermer Peaks infolge fehlender Verbrennung 

 

Reduzierende Atmosphäre: Bei reduzierenden Atmosphären zeigen sich sowohl exotherme als auch endotherme Effekte, die stark vom jeweiligen Stoffsystem abhängen. Charakteristisch ist eine Verschiebung der typischen Umwandlungstemperaturen im Vergleich zu oxidierenden oder inerten Bedingungen, was auf die veränderte Reaktionskinetik unter reduzierenden Bedingungen zurückzuführen ist. 

Typische Messkurven im Vergleich

SinteratmosphäreMasseänderung (TGA)Wärmeänderung (DSC)
OxidierendDeutlicher Masseverlust, schnellStarke exotherme Peaks
InertReduzierter Masseverlust, langsamerSchwächere, meist endotherme
ReduzierendChemoselektive VeränderungenGemischt exo-/endothermisch

Wissenschaftliche Erkenntnisse und Anwendungen

Aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen zeigen, wie beispielsweise in situ die Sinterkinetik und das Verhalten sekundärer Phasen am Grünkörper abgeleitet werden können [4]. Auch der Einfluss von Atmosphären auf die Ausbildung von Druckeigenschaften, Kornstruktur oder die Mikrostrukturentwicklung lässt sich hervorragend mittels STA quantifizieren, wie jüngste Arbeiten zu Aluminiumoxid-, Zirkonoxid- und Piezokeramiken belegen [4][5]. 

Beispielhafte Erkenntnisse:

Oxidierende Atmosphären fördern oft die Eliminierung organischer Binder, da die Verbrennung bei niedrigeren Temperaturen und vollständiger erfolgt. Allerdings können sie gleichzeitig zu unerwünschten Phasenumwandlungen führen, insbesondere wenn sauerstoffempfindliche Komponenten im keramischen System vorhanden sind. 

Reduzierende oder inerte Atmosphären: 

  • Erlauben das gezielte Management von Sekundärphasen durch kontrollierte Redoxbedingungen 
  • Beeinflussen oft die Porenstruktur entscheidend durch veränderte Zersetzungskinetik 

 

Atmosphärenwechsel während des Sinterprozesses stellen eine besonders interessante Möglichkeit dar, da sie aktiv zur Mikrostrukturkontrolle genutzt werden können. Durch zeitlich gesteuerte Änderungen der Atmosphärenzusammensetzung lassen sich verschiedene Prozessschritte gezielt optimieren [4][5]. 

Praktisches Beispiel der Prozessidentifikation

Prozess im GrünkörperTG (Masse)DSC (Wärmefluss)Interpretation
Entbindern organischer AnteileMasseverlust (Stufen)exothermer PeakVerbrennung/Abbau der Bindemittel
Phasenumwandlungkeine Masseänderungendo-/exothermer EffektKristallstrukturänderung ohne Substanzverlust
Reduktion eines OxidsMasseverlustexotherm/endotherm je nach ReaktionSauerstoffaustritt, Energetik der Reduktion

Vorteile für die Sinteratmosphärenforschung

Die STA bietet für die Charakterisierung von Grünkörpern unter verschiedenen Sinteratmosphären entscheidende Vorteile: 

  • Zeit- und Probenersparnis: Da beide Signale simultan aus derselben Probe gewonnen werden, wird weniger Probenmaterial benötigt und experimenteller Aufwand reduziert 
  • Vergleich und Optimierung: Verschiedene Sinteratmosphären können direkt im Vergleich untersucht werden, beispielsweise um die Oxidationsempfindlichkeit oder die Eliminierung organischer Binder zu optimieren [1][2][3][6] 
  • Komplexe Prozesse verstehen: Typisch für technische Keramiken ist das Überlappen mehrerer Prozesse. Mit STA lassen sich diese Prozesse besser differenzieren und korrelieren 
  • Bessere Vergleichbarkeit: Insbesondere beim Screening von Atmosphäreneinflüssen oder Materialchargen durch identische Messbedingungen 

Technologietransfer und Praxisrelevanz

Die gezielte Anwendung der Simultanen Thermischen Analyse stellt eine Schlüsseltechnologie für die störfreie, reproduzierbare Herstellung leistungsfähiger technischer Keramiken dar. Sie ermöglicht die effiziente Entwicklung und Optimierung von Sinterprozessen, angepasst an die individuellen Anforderungen und Materialsysteme [1][2][3]. 

Labore und Forschungseinrichtungen nutzen diese Daten, um: 

  • Optimale Sinterprozesse festzulegen (Defektfreiheit, Homogenität) 
  • Atmosphärengeführte Materialmodifikation zu ermöglichen (z.B. gezieltes Porendesign, Restkohlemanagement) 
  • Prozessskalierung zu validieren 

Fazit

Die Kombination aus innovativer Sinteratmosphärensteuerung und der analytischen Stärke der Simultanen Thermischen Analyse erlaubt eine tiefgreifende Prozess- und Materialcharakterisierung auf Basis realer Übergangs- und Reaktionsdaten des Grünkörpers. Die simultane Messung von TG und DSC liefert einen entscheidenden Mehrwert: Sie ermöglicht eine umfassende und sichere Interpretation von Thermoprozessen, verbessert die Reproduzierbarkeit und spart Zeit sowie Ressourcen – ein unschätzbarer Vorteil für Forschung, Entwicklung und Qualitätssicherung im Bereich der technischen Keramik. 

Die STA verdeutlicht, wie stark die Sinteratmosphäre die thermischen Eigenschaften und Reaktionsverläufe von Grünkörpern beeinflusst und liefert so die Basis für eine effiziente und sichere Entwicklung keramischer Werkstoffe. Die Nutzung der STA erschließt das volle Potential moderner Keramikentwicklung unter variablen Atmosphärenbedingungen – effektiv, präzise und wissenschaftlich fundiert. 

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