Inhaltsverzeichnis
Einführung
Die direkte Reduktion von Eisenerz mit Wasserstoff ist von zentraler Bedeutung für die Dekarbonisierung der Stahlindustrie. Wasserstoffbasierte Prozesse ermöglichen eine erhebliche Reduzierung der CO₂-Emissionen im Vergleich zur konventionellen Reduktion mit Kohlenstoffträgern. Aufgrund der großen technischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Gasreaktivität, der Temperaturkontrolle, den Pellet-Eigenschaften und den Druckbedingungen sind experimentell validierte kinetische Daten eine wichtige Ressource für die Entwicklung von industriellen H₂-Direktreduktionsreaktoren. Die TGA- und STA-Systeme von Linseis liefern hochpräzise Messdaten zu Reaktionswegen, Zwischenphasen und Atmosphärendynamik – wichtige Informationen für die Optimierung und Modellierung der Wasserstoffreduktion (Kim et al., 2021; Ratzker et al., 2025).
Reaktionschemie und Prozessgrundlagen
Die Reduktion von Eisen(III)-oxid (Fe₂O₃) mit Wasserstoff verläuft schrittweise über Fe₃O₄ und FeO zu metallischem Eisen. Die Geschwindigkeit und Effizienz dieser Umwandlungen wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, darunter Porosität, Defekte in den Pellets, Diffusionseigenschaften und Änderungen der Atmosphäre. Diffusionsprozesse und Wasserstoffpartialdruck bestimmen weitgehend die Reaktionsraten, während der bei der Wasserstoffreduktion gebildete Wasserdampf als Reaktionsprodukt kontinuierlich entfernt werden muss, um eine Reoxidation zu vermeiden (Shankar et al., 2025; Fradet et al., 2023). Die gleichzeitige analytische Erfassung von Massenänderungen, thermischen Effekten und Gasphasen ist daher für ein vollständiges Verständnis des Prozesses unerlässlich.
Einrichtung der Ausrüstung und Messmethodik
Die Linseis TGA L87 MSB ist aufgrund seiner hohen Empfindlichkeit besonders für die Untersuchung von Pulverproben und Referenzmaterialien geeignet. Die schnell umschaltbare Atmosphärensteuerung (einschließlich H₂, N₂, Ar und deren Mischungen) ermöglicht kontrolliert variierende Bedingungen. Die Kopplung mit einem Massenspektrometer (MS) ermöglicht die Echtzeitanalyse der gebildeten Gase, insbesondere H₂O und potenzielle Nebenprodukte.
Die Linseis STA L81 kombiniert Thermogravimetrie (TG) und Differential-Scanning-Kalorimetrie (DSC)so dass während der Reduktionsreaktion nicht nur Gewichtsveränderungen, sondern auch energetische Effekte wie endotherme oder exotherme Reaktionen eindeutig zugeordnet werden können. Insbesondere beim Übergang von Fe₃O₄ zu FeO oder FeO zu Fe treten charakteristische thermische Signaturen auf, die die Interpretation der Reaktionskinetik und der Zwischenphasen unterstützen.
Die Linseis STA HP L85 ermöglicht Messungen unter realen Prozessbedingungen bis hin zu hohem Wasserstoffdruck und präzise steuerbaren Gasflüssen. Dies ermöglicht die Simulation von Prozessen an kompletten Pellets; druck- und gasflussabhängige Kinetiken können abgebildet, Gaswechsel unter Last durchgeführt und sicherheitsrelevante Gaskontrollen getestet werden. Die flexible Auswahl an Probenhaltern (Platinbügel für Pulver bzw. Keramiktiegel für Pellets) ergänzt die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Untersuchungsdesigns.
Versuchsziele und Bewertungsstrategie
Mit diesen Messplattformen können die folgenden wissenschaftlich relevanten Fragen praktisch beantwortet werden:
- Temperaturabhängige Reduktionskinetik: Untersuchung bei 600, 700 und 900 °C, Differenzierung der Reaktionsraten für verschiedene Pellet- und Pulverformen.
- Druckabhängigkeit: Versuchsreihen bei 1, 10, 30 und 50 bar; Ermittlung des Druckeinflusses auf die Zeit bis zur vollständigen Reduktion.
- Zwischenphasen und Energetik: Schrittweise Analyse der Massenverluste (Fe₂O₃ → Fe₃O₄ → FeO → Fe) und Zuordnung der charakteristischen thermischen Effekte mittels DSC.
- Gasphasenanalyse: Echtzeit-Nachweis von Reaktionsprodukten über MSKorrelation zwischen Massenverlust und Wasserstoff/Wasser-Gasentwicklung.
- Veränderungen der Mikrostruktur: Vorher/Nachher-Beobachtung mittels Elektronenmikroskopie (z.B. Veränderungen der Porenstruktur und des Kornwachstums in Abhängigkeit von Druck und Temperatur).
- Kombinierte Modellierung: Ableitung von kinetischen Parametern, die als Datenbasis für simulationsgestützte Prozessoptimierung und Scale-up dienen (Raabe, 2021; Fradet et al., 2023).
Anwendung und Industrieperspektive
Die von Linseis-Systemen erzeugten Datensätze sind für die Prozesssimulation und für die Entwicklung von Kontrollstrategien in H₂-basierten Direktreduktionsanlagen unerlässlich. Sie bilden die Grundlage für die Qualitätssicherung von Pellets, helfen bei der Ermittlung von Betriebsfenstern und Sicherheitsgrenzen und ermöglichen die Modellierung komplexer Gasphänomene in einer Vielzahl von industriellen Anwendungen (Souza Filho et al., 2021; Ratzker et al., 2025).
Neben dem folgenden Beispiel zur Kupferoxidationskinetik kann das Forced-Flow-Konzept nahtlos auf druckkontrollierte Umgebungen und reduktionsgetriebene Reaktionswege ausgeweitet werden, was einen breiteren Einsatzbereich für fortgeschrittene Gas-Feststoff-Studien ermöglicht.
Bei der Oxidation von Kupfer entsteht Kupferoxid, wobei die Reaktionsgeschwindigkeit stark von der Gaszufuhr abhängig ist. Das Prinzip der Zwangsdurchströmung sorgt dafür, dass das Oxidationsmittel (O₂) von Anfang an schnell und gleichmäßig über das gesamte Probenmaterial verteilt wird. Dadurch kann die Reaktion viel schneller ablaufen als bei herkömmlichen Methoden, bei denen das Gas erst nach und nach die Probe erreicht.
Die Reaktion zur Bildung von Kupferoxid lautet:
2Cu + O₂ → 2 CuO
Durch den erzwungenen Gasfluss reagiert der Sauerstoff effizient mit dem Kupfer – für beschleunigte Reaktionen und präzisere Analysen unter realistischen Bedingungen.
Umsatz-Zeit-Kurven aus Makro-TG-Eisenerz-Luftoxidationsexperimenten (durchgeführt in einer Linseis TGA L83) bei 500, 800 und 1000 ◦C (graue, schwarze bzw. rote Linien) unter Verwendung von Tiegeln, die in allen Fällen mit einem perforierten Aluminiumoxiddeckel (0,10 Porosität) verschlossen waren. Die Punkte entsprechen den experimentellen Ergebnissen und die durchgehenden Linien den Modellvorhersagen.

(a) Zeitabhängiges Massensignal der TGA

(b) Reduktionsgrad (0e100%) als Funktion der Zeit
Fazit und Ausblick
Die TGA- und STA-Geräte von Linseis bieten eine einzigartige Kombination aus Empfindlichkeit, Temperatur- und Druckstabilität, schneller Gaswechselkontrolle und flexibler Atmosphärenwahl. Sie eignen sich gleichermaßen für grundlegende thermodynamische Studien und für anwendungsorientierte Prozesstests an Pulvern und Pellets. Die Zukunftsperspektive umfasst die Bewertung komplexer Gasgemische (z.B. H₂/CO/CO₂) und die Untersuchung von Wasserstoffkreisläufen für zukünftige, vollständig nachhaltige Stahlprozesse (Ma et al., 2022).
Referenzen
Fradet, Q., Kurnatowska, M., & Riedel, U. (2023). Thermochemische Reduktion von Eisenoxidpulvern mit Wasserstoff: Review of selected thermal analysis studies. Thermochimica Acta, 725, 179552. https://doi.org/10.1016/j.tca.2023.179552
Kim, S.-H., Zhang, X., Ma, Y., Souza Filho, I. R., Schweinar, K., Angenendt, K., Vogel, D., Stephenson, L., El-Zoka, A., Mianroodi, J. R., Rohwerder, M., Gault, B., & Raabe, D. (2021). Einfluss der Mikrostruktur und der Chemie im atomaren Maßstab auf die Direktreduktion von Eisenerz mit Wasserstoff bei 700 °C. Acta Materialia, 212, 116933. https://doi.org/10.1016/j.actamat.2021.116933
Ma, Y., Souza Filho, I. R., Zhang, X., Nandy, S., Barriobero-Vila, P., Requena, G., Vogel, D., Rohwerder, M., Ponge, D., Springer, H., & Raabe, D. (2022). Wasserstoffbasierte Direktreduktion von Eisenoxid bei 700 °C: Heterogenität auf der Pellet- und Mikrostrukturebene. International Journal of Minerals, Metallurgy and Materials, 29(10), 1901-1907. https://doi.org/10.1007/s12613-022-2440-5
Raabe, D. (2021). Simulation der wasserstoffbasierten Direktreduktion. Dierk Raabe Forschung. https://www.dierk-raabe.com/simulation-of-hydrogen-based-direct-reduction/
Ratzker, B., Ruffino, M., Shankar, S., Raabe, D., & Ma, Y. (2025). Aufklärung der Mikrostrukturentwicklung während der wasserstoffbasierten Direktreduktion anhand einer Fallstudie von einkristallinem Hämatit. Acta Materialia, 294, 121174. https://doi.org/10.1016/j.actamat.2025.121174
Shankar, S., Ratzker, B., da Silva, A. K., Schwarz, T. M., Brouwer, H., Gault, B., Ma, Y., & Raabe, D. (2025). Entschlüsselung der Thermodynamik und des Mechanismus hinter der Senkung der Direktreduktionstemperaturen in Oxidmischungen.
Souza Filho, I. R., Ma, Y., Kulse, M., Ponge, D., Gault, B., Springer, H., & Raabe, D. (2021). Nachhaltiger Stahl durch Wasserstoffplasmareduktion von Eisenerz: Prozess, Kinetik, Mikrostruktur, Chemie. Acta Materialia, 213, 116971. https://doi.org/10.1016/j.actamat.2021.116971