Tg-Bestimmung mit TMA: Wie Thermoplaste unter mechanischer Last reagieren

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Warum Tg-Messung unter definierter Last entscheidend ist

Die Glasübergangstemperatur (Tg) markiert den Übergang eines Thermoplasts von einem spröden, glasartigen Zustand in ein gummiartiges Verhalten. Mit klassischen Messmethoden wie der Dynamischen Differenzkalorimetrie (engl. Differential Scanning Calorimetry (DSC)) wird sie im lastfreien Zustand ermittelt; diese liefern jedoch oft unzureichende Information für den realen Einsatz.

Viele thermoplastische Formteile – etwa Gehäuse, Dichtungen oder Klemmverbindungen – werden im Alltag mechanisch belastet oder arbeiten in Umgebungstemperaturen nahe der Tg. Ein Material, das laut Datenblatt eine Tg von 105 °C aufweist, kann bereits unter Wärme plus Kraft deutlich früher erweichen und seine Formstabilität verlieren. Das bedeutet für die Entwicklung: Ein auf reine DSC-Daten basierendes Design kann Bauteilversagen verursachen – oft ohne Vorwarnung.

Die Thermomechanische Analyse (TMA) bietet einen entscheidenden Vorteil: Sie misst die Längenänderung einer Probe während des Temperaturanstiegs unter definierter mechanischer Kraft. Mit dieser Methode lässt sich der Glasübergang unter einer realitätsnäheren Prüfbedingung bestimmen, etwa bei einer bestimmten Penetrations- oder Kompressionskraft. Dieser methodische Ansatz ermöglicht eine empfindlichere, praxisnahe Tg-Erfassung, die über die labormäßige DSC-Betrachtung hinausgeht und so bessere Werkstoffentscheidungen ermöglicht.

Im folgenden Beitrag zeigen wir, wie TMA-Messungen mit definierter Kraftbedingungen durchgeführt werden können und was empirisch belegte Studien – zum Beispiel an PMMA-Folien und Kupfer–PMMA-Kompositen – über den Unterschied zur klassischen Tg-Messung per DSC aussagen.

Was die Thermomechanische Analyse (TMA) tatsächlich leisten kann

Die Thermomechanische Analyse (TMA) ist ein etabliertes Verfahren zur Charakterisierung des thermischen Deformationsverhaltens fester Werkstoffe. Im Gegensatz zu kalorimetrischen Verfahren wie der DSC misst die TMA direkt die Längenänderung eines Prüfkörpers während einer kontrollierten Temperaturführung – unter definierter mechanischer Kraft. Diese Kombination macht die TMA besonders wertvoll für die Analyse von temperaturabhängigen Strukturveränderungen, wie sie beispielsweise beim Glasübergang von amorphen oder teilkristallinen Thermoplasten auftreten.

Messprinzip

Bei einer typischen TMA-Messung wird eine Probe – z. B. ein dünner Streifen oder ein zylindrischer Prüfkörper – auf eine feste Unterlage gelegt oder, im Falle von Folien oder Fasern, zwischen zwei Klemmen eingespannt. Eine Kraft wird auf die Probe aufgebracht, wobei die Größe der Kraft variabel eingestellt werden kann (meist im Bereich von wenigen Millinewton bis mehreren Newton, abhängig von Material und Prüfziel).

Während die Temperatur mit einer konstanten Heizrate (z. B. 2–5 K/min) erhöht wird, zeichnet das System hochauflösend die Längenänderung auf.

Diese Längenänderung in Abhängigkeit von der Temperatur zeigt bei vielen amorphen Thermoplasten eine deutliche Änderung der Steigung (einen „Knickpunkt), was einer Änderung des Ausdehnungskoeffizienten entspricht – genau an der Temperatur, bei der die molekulare Beweglichkeit zunimmt: dem Glasübergang. Die so bestimmte Tg ist im Regelfall belastungsabhängig und unterscheidet sich von der Tg, die unter lastfreien Bedingungen ermittelt wird. Außerdem ist die TMA-Methode zur Tg-Bestimmung deutlich empfindlicher als die DSC-Methode. Die ermittelten Glasübergangstemperaturen hängen aber nicht nur von der gewählten Methode, sondern auch von den jeweiligen Heizraten und anderen Versuchsparametern ab. Bei der Angabe von Tg sollten deshalb immer die verwendete Messmethode und die Versuchsbedingungen genannt werden.

Relevante Messmodi

Je nach gewünschter Aussage können unterschiedliche Messmodi genutzt werden:

  • Expansion: Die Probe liegt frei und dehnt sich durch Erwärmung unter Eigengewicht oder minimaler Last aus. Dieser Modus dient häufig als Referenz für ungestörte Tg-Messung.
  • Penetration: Die Messnadel drückt mit definierter Kraft auf die Oberfläche – dieser Modus eignet sich besonders, um das Verhalten bei punktueller Belastung zu simulieren.
  • Messung unter oszillierender Kraft: Während der Messung wird eine oszillierende Kraft mit einer Frequenz im Bereich von ca. 0.1 bis 1 Hz angewendet. Hierzu wird meist der Penetra-tionsmudus angewendet.


Alle Modi liefern über den Temperaturverlauf hinweg eine charakteristische Längenänderungskurve. Der Glasübergang zeigt sich durch eine abrupte Änderung des Ausdehnungsverhaltens – meist ein Knick in der Kurve, der mit Hilfe einer Tangentenmethode oder durch Vergleich der thermischen Ausdehnungskoeffizienten vor und nach dem Übergangspunkt ermittelt wird. Bei Messung mit oszillierender Kraft zeigt sich Tg durch eine starke Vergrößerung der Amplitude.

Fallstudien: Validierte Untersuchungen zur Tg-Bestimmung mit TMA

Die folgenden Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur zeigen, wie die Thermomechanische Analyse zur Messung der Glasübergangstemperatur (Tg) von PMMA-basierten Materialien unter definierten mechanischen Bedingungen eingesetzt werden kann. Dabei steht nicht die Modellierung extremer Anwendungslasten im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, über die Kopplung von Temperatur und Kraft auf empfindliche Strukturveränderungen im Material zu schließen – ein Vorteil gegenüber rein kalorimetrischen Verfahren.

PMMA-Folien: Tg-Abweichung bei TMA und DSC

In einer Untersuchung von Agarwal et al. (2010) wurden Folien aus Poly(methylmethacrylat) (PMMA) mittels Thermomechanischer Analyse (TMA) im Zugmodus analysiert. Bei einer Prüfkraft von 10 N und einer Heizrate von 2 K/min zeigte sich im Dehnungsverlauf ein markanter Übergang bei 82,1 °C. Dieser Wert liegt deutlich unterhalb der typischerweise per DSC ermittelten Glasübergangstemperatur von etwa 105 °C, wie sie auch in Datenblättern häufig angegeben wird.

Die Studie zeigt, dass TMA temperaturinduzierte Veränderungen des mechanischen Verhaltens bereits unterhalb der durch DSC bestimmten Tg erfassen kann. Dies unterstreicht das Potenzial der TMA, insbesondere für Anwendungen mit engen Toleranzen oder sensiblen Temperaturbereichen, in denen mechanische Reaktionen vor dem DSC-Tg einsetzen können.

Kupfer-PMMA-Komposite: Einfluss von Füllstoffen auf das Tg-Verhalten

Eine weitere Untersuchung von Poblete und Álvarez (2023) widmete sich dem Einfluss nanoskaliger Kupferpartikel auf die thermomechanischen Eigenschaften von PMMA-Kompositen. Hierzu wurden verschiedene Volumenanteile an Kupfer in eine PMMA-Matrix eingearbeitet und die resultierenden Werkstoffe analysiert, unter anderem mit der Methode der Thermomechanischen Analyse (TMA).

Die Ergebnisse zeigen, dass die Glasübergangstemperatur bei geringen Füllstoffanteilen (unter 2 Vol.-%) leicht absinkt, während sie ab etwa 10 Vol.-% weitgehend stabil bleibt. Die Autoren präsentieren sowohl TMA- als auch DSC-Messdaten, die für einige Zusammensetzungen voneinander abweichen, insgesamt jedoch eine gute Übereinstimmung aufweisen.

Die TMA konnte die Effekte der Füllstoffzugabe sehr differenziert abbilden – nicht nur im Hinblick auf den Tg-Wert, sondern auch bezüglich der temperaturabhängigen Längenänderung. Dies liefert wertvolle Informationen für die Entwicklung von PMMA-basierten Kompositen, insbesondere zur gezielten Einstellung von Materialeigenschaften im Spannungsfeld zwischen thermischer Stabilität und mechanischer Performance.

PMMA-CCTO-Komposite: Kein signifikanter Einfluss auf Tg

In der Studie von Thomas et al. (2013) wurden Komposite aus PMMA und keramischem CaCu₃Ti₄O₁₂ (CCTO) untersucht – einem Füllstoff, der aufgrund seiner hohen Dielektrizitätskonstante für elektronische Anwendungen interessant ist. Die Forscher analysierten die thermischen Eigenschaften der Materialien mittels DSC. Geräte von TA Instruments und Mettler Toledo kamen dabei zum Einsatz.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Glasübergang auch bei hohen Füllstoffanteilen bis 38 Vol.-% weitgehend konstant blieb. Die gemessene Tg lag durchgängig bei etwa 107 °C. Dies deutet darauf hin, dass CCTO als keramischer Füllstoff die molekulare Beweglichkeit der Polymermatrix nur geringfügig beeinflusst.

Für die werkstofftechnische Praxis bedeutet dies: Funktionalisierte Werkstoffe mit keramischen Additiven können entwickelt werden, ohne dass signifikante Veränderungen ihrer thermomechanischen Eigenschaften zu erwarten sind. Die TMA kann hier – ergänzend zur DSC – genutzt werden, um frühzeitig zu prüfen, ob neue Füllstoffe das mechanische Verhalten im Temperaturverlauf beeinflussen.

Bedeutung der Messergebnisse für die Materialbewertung

Die vorgestellten Fallstudien belegen, dass die thermomechanische Analyse (TMA) eine besonders empfindliche Methode zur Bestimmung der Glasübergangstemperatur (Tg) darstellt – insbesondere dann, wenn die Ermittlung unter definierter mechanischer Belastung erfolgt. Im Vergleich zu konventionellen Verfahren wie der Differential Scanning Calorimetry (DSC) zeigt sich in mehreren Untersuchungen, dass der Tg-Wert von Messmethoden und -bedingungen abhängt. Diese Abweichung ist keine Messungenauigkeit, sondern ein Ausdruck der unterschiedlichen physikalischen Fragestellung der Methoden und der jeweiligen Versuchsbedingungen.

Während DSC den Energieeintrag beim Übergang in ein neues thermodynamisches Gleichgewicht misst, erfasst die TMA den Beginn der makroskopischen Formveränderung – also den Punkt, an dem das Material unter einer kleinen definierten Kraft seine Struktur nachgibt. Damit liefert die TMA einen direkt praxisrelevanten Wert: Nicht der vollständige Glasübergang ist entscheidend, sondern die Temperatur, ab der ein Bauteil beginnende Deformationen oder Setzerscheinungen zeigt.

Diese Differenz ist vor allem für Anwendungen mit hohen Anforderungen an Maßhaltigkeit, Einpassung oder Klemmverhalten relevant – etwa im Bereich:

  • von Steckverbindern und Gehäusen,
  • von optischen Komponenten,
  • oder von medizinischen Kunststoffteilen, die im Körperinneren Temperaturschwankungen ausgesetzt sind.


Die Untersuchung der Kupfer–PMMA-Komposite belegt zudem, dass auch niedrige Füllstoffgehalte das Tg-Verhalten beeinflussen können. Dies ist ein wichtiges Kriterium bei der Entwicklung funktionalisierter Polymersysteme, etwa für die Elektrotechnik oder Sensortechnik. Gleichzeitig zeigen die CCTO-Komposite, dass nicht alle Additive zu relevanten Tg-Verschiebungen führen. Auch dies ist eine wichtige Erkenntnis, denn sie hilft, gezielt auf Materialien zu setzen, die bei der Füllstoffintegration ihre thermomechanischen Eigenschaften bewahren.

Anwendungshinweise für die werkstofftechnische Praxis

Die Thermomechanische Analyse (TMA) bietet eine zuverlässige Möglichkeit, thermisch bedingte Längenänderungen von Kunststoffen unter einer definierten Kraft zu erfassen. Damit ist sie besonders gut geeignet, um die Glasübergangstemperatur (Tg) unter anwendungsnahen Bedingungen zu bestimmen – vorausgesetzt, die Methode wird zielgerichtet und reproduzierbar eingesetzt.

Damit die Messergebnisse technisch verwertbar sind, sollten bereits bei der Versuchsplanung einige zentrale Aspekte berücksichtigt werden:

Einstellung der Prüfparameter

Die Aussagekraft einer TMA-Messung hängt stark von den gewählten Parametern ab:

  • Heizrate: Es empfehlen sich moderate Heizraten von 2 bis 5 K/min. Höhere Raten können zu einer Verzerrung des Übergangspunkts führen, da das Material nicht gleichmäßig durchwärmt wird.
  • Kraft: Die aufgebrachte Kraft sollte im Bereich bleiben, der keine plastische Verformung erzeugt, sondern lediglich zur Detektion des thermisch bedingten Formwandels dient. Typische Kräfte liegen im Bereich von 50 bis 500 mN, abhängig von Material und Probengeometrie.
  • Probendicke: Eine homogene Probengeometrie ist entscheidend. Besonders bei füllstoffhaltigen Materialien sollte auf eine gleichmäßige Verteilung und Orientierung der Partikel geachtet werden.


Durch die Kombination dieser Parameter lässt sich die TMA-Messung so einstellen, dass sie nicht nur vergleichbare Ergebnisse liefert, sondern auch spezifische Effekte sichtbar macht.

Interpretation der Messergebnisse

Ein zentrales Ziel der TMA-Messung ist es, den Temperaturbereich zu bestimmen, in dem das Material mit zunehmender Beweglichkeit reagiert. Dies zeigt sich typischerweise in einer Änderung des Steigungswinkels der Dehnungskurve, also einer Knickstelle. Die Glasübergangstemperatur wird in der Regel als Beginn dieses Übergangsbereichs interpretiert.

Weitere typische Auswertungsgrößen sind:

  • Der thermische Ausdehnungskoeffizient (CTE) vor und nach dem Glasübergang
  • Die Verformungsrate unter gleichbleibender Kraft im Tg-Bereich
  • Der Vergleich unterschiedlicher Probenzustände (gefüllt, ungefüllt, verarbeitet, konditioniert)


Es empfiehlt sich, stets mehrere Messungen unter leicht variierten Bedingungen durchzuführen, um die Robustheit der Ergebnisse zu prüfen.

Grenzen und Kombinationen

Die TMA eignet sich hervorragend zur Untersuchung von amorphen und teilkristallinen Thermoplasten, die im Temperaturbereich zwischen Raumtemperatur und ca. 300 °C eingesetzt werden. Für sehr dünne Schichten, stark viskoelastische Werkstoffe oder Bauteile mit Mehrschichtaufbau können ergänzende Methoden wie DMA oder mikroskalige Verfahren (z. B. nano-Thermomechanik) sinnvoll sein. Dennoch bietet die TMA in ihrer einfachen Form eine gut zugängliche und praxisnahe Methode, um das Verformungsverhalten im relevanten Temperaturfenster zuverlässig zu quantifizieren.

Die Rolle der TMA in der werkstofftechnischen Charakterisierung

Die Ergebnisse aus Forschung und Anwendung zeigen deutlich: Die Thermomechanische Analyse (TMA) bietet einen entscheidenden methodischen Mehrwert, wenn es darum geht, den Glasübergang thermoplastischer Werkstoffe zu bestimmen. Im Gegensatz zu kalorimetrischen Verfahren wie der DSC, die die Tg unter idealisierten, lastfreien Bedingungen erfassen, erlaubt die TMA eine Bewertung des Materials unter definierter mechanischer Belastung.

Die Kombination aus Temperatur- und Krafteinfluss ermöglicht eine differenzierte Aussage darüber, ab wann ein Material beginnt, seine Form zu verändern – also genau jene Grenze, die für die Entwicklung von maßhaltigen, mechanisch beanspruchten Komponenten von entscheidender Bedeutung ist.

Die TMA ist dabei keine Konkurrenz zu anderen Methoden, sondern eine sinnvolle Ergänzung im Methodenverbund. Insbesondere bei:

  • der Validierung von Kunststoffen für präzise Passungen,
  • der Entwicklung von gefüllten oder verstärkten Polymercompounds,
  • sowie bei der Analyse von Verarbeitungs- oder Alterungseinflüssen


liefert sie Erkenntnisse, die anderen Verfahren verborgen bleiben. Ihre hohe Empfindlichkeit gegenüber kleinen Längenänderungen macht sie zur idealen Methode, um Beginn und Verlauf des Glasübergangs zu erfassen.

Quellenangaben

  1. Agarwal, A. et al. (2010): Investigation of Thermomechanical Properties of PMMA
    https://www.researchgate.net/publication/252928444_Investigation_of_Thermomechanical_Properties_of_PMMA

  2. Poblete, V. H. & Álvarez, M. P. (2023): Mechanical, Electrical, and Glass Transition Behavior of Copper–PMMA Composite sheets fabricated via melt mixing.        
    https://www.mdpi.com/2073-4352/13/3/368

  3. Thomas et al. (2013): Thomas, S., Stephen, R., Grohens, Y., & Pothan, L. A. (2013). Thermal and dielectric behavior of PMMA/CaCu₃Ti₄O₁₂ nanocomposites. Journal of Thermal Analysis and Calorimetry, 112, 1175–1182.           
    https://arxiv.org/abs/1301.4218

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